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«Bei uns herrscht eine gewisse ‹Italianità›»

Edition No. 124
May. 2019
Healthy ageing

5 Fragen an Mauro Bernasconi, Co-Abteilungsleiter Mediterrane Abteilung im Pflegezentrum Erlenhof in Zürich. In dieser Abteilung werden Bewohnerinnen und Bewohner mit mediterraner Herkunft von Mitarbeitenden betreut, die ihre Sprache sprechen und mit ihren Lebensweisen vertraut sind. Der Erlenhof war in der Schweiz Pionier mit seiner mediterranen Abteilung.

1 Wieso gibt es im Pflegezentrum Erlenhof eine mediterrane Abteilung?

Wir liegen mitten im Kreis 4, einem historischen «Ausländerquartier», wo seit den 1950er-Jahren viele Menschen italienischer, spanischer und portugiesischer Herkunft wohnen. Die Leute der ersten Genera-tion haben jahrzehntelang hier gearbeitet. Sie haben Familien gegründet, ihre Kinder und Enkelkinder sind hier. Deshalb wollen viele nicht in ihre Herkunftsländer zurück, sondern auch im Alter in der Schweiz bleiben. Als die ersten Menschen mit Migrationshintergrund zu uns ins Pflegezentrum kamen, wollten sie zum Beispiel lieber die italienischsprachigen Sender im Fernsehen schauen, das führte zu Irritationen und Konflikten mit den Schweizer Mitbewohnenden. Auch die Essgewohnheiten sind anders; statt Birchermüsli wollen die Italienerinnen und Italiener lieber Pasta. Deshalb hat das Pflegezentrum Erlenhof vor 12 Jahren entschieden, eine neue Abteilung zu gründen.

2 Wie unterscheidet sich die mediterrane Abteilung von den anderen Abteilungen?

Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilung sprechen italienisch oder spanisch – und sind mit der soziokulturellen Herkunft und den Biografien dieser Menschen vertraut. Wir von der Pflege sprechen nicht nur ihre Sprache, wir verstehen auch ihre Gestik. So können die Leute, die mediterrane Lebensart, die sie auch in der Schweiz gepflegt haben, möglichst weiterführen. Das betrifft nicht nur das Essen oder die Sprache. Es gibt auch gesellschaftliche Aspekte. Auf unserem Stockwerk gibt es etwa eine Piazza, wo die Bewohnerinnen und Bewohner sitzen und sich austauschen können. Sie ziehen sich weniger ins eigene Zimmer zurück und nehmen stärker am gemeinsamen Leben teil. Ihr Umgang ist warmherzig und offen.

3 Was ist den Bewohnerinnen und Bewohnern der mediterranen Abteilung besonders wichtig?

Bei uns herrscht eine gewisse «Italianità» vor. Wir haben hier auf der mediterranen Abteilung eine Art Mikrokosmos aufgebaut, in dem die Bewohnerinnen und Bewohner ihr vertrautes Leben möglichst fortführen können. Wir kommen ihnen so weit wie möglich entgegen, damit sie ihre Lebensläufe und den neuen Kontext in Einklang bringen können. 

4 Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen?

Einerseits in der Rekrutierung des Pflegepersonals: Es ist sehr schwierig, Mitarbeitende zu finden, die fachkompetent sind und Interesse an der Langzeitpflege haben. Die Pflege in einem Pflegezentrum ist anspruchsvoll. Immer mehr Bewohnerinnen und Bewohner leiden an verschiedenen Krankheiten. Häufig kommt auch noch eine Demenz dazu. Es ist enorm komplex, solche Leute gut zu pflegen – und die Komplexität nimmt stetig zu. Auf der mediterranen Abteilung brauchen wir aber auch Personen, die die erforderlichen Sprachkenntnisse mitbringen. Dafür genügt ein zweimonatiger Sprachkurs in der Regel nicht.

Andererseits stehen wir vor einem grossen Wechsel hinsichtlich der Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner. Die Menschen der Erstgeneration haben viel und hart gearbeitet und wenig verdient. Jetzt leben sie von der AHV und Ergänzungsleistungen. Sie sind sehr bescheiden. Die nächste Generation wird ganz andere Ansprüche an die Institution haben und braucht zum Beispiel einen individuellen Internetanschluss im Zimmer. Aufgrund der demografischen Entwicklung kommen auch zusehends Leute aus anderen Gebieten ins Pflegezentrum, aus Ex-Jugoslawien oder aus Sri Lanka. Es würde natürlich den Rahmen sprengen, für jede Migrationsgruppe eine eigene Abteilung anzubieten. Aber im Prinzip gilt das, was wir hier in der mediterranen Abteilung leben, auch ganz allgemein in der transkulturellen Pflege: Wenn die Gruppen zusehends heterogen werden, gilt es umso mehr, sehr wach, aufmerksam und feinfühlig zu sein. Die personenzentrierte Pflege muss versuchen, auf die spezifischen Besonderheiten der Bewohnerinnen und Bewohner einzugehen, um ihnen zu ermöglichen, etwa ihre Religion und ihre Lebensgewohnheiten aufrechtzuerhalten.

5 Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung der Betreuung von älteren Migrantinnen und Migranten in der Schweiz?

Ich denke, dass die transkulturellen Kompetenzen in Zukunft immer wichtiger werden. Sowohl in den Alters- und Pflegezentren als auch in der Spitex werden Leute gefragt sein, die die Würde der ihnen Anvertrauten achten und sie in ihrer Lebensgestaltung respektieren. Deshalb ist es wichtig, dass sich die jungen Fachpersonen schon in der Ausbildung auch mit dem Thema «Pflege von Migrantinnen und Migranten» auseinandersetzen. Sie müssen sensibilisiert werden für einen guten Umgang mit verschiedenen Gruppen. Sie müssen lernen, wie die Privatsphäre einer Person geschützt werden kann. Auch wenn man sich nicht mit der Person verständigen kann, weil man ihre Sprache nicht spricht. Trotz der Sprachbarrieren müssen Pflegende Wege finden, wie sie den ihnen anvertrauten Menschen mit ihrer Fachkompetenz helfen und beistehen können. Dabei ist es wichtig, die Angehörigen einzubinden. Das ist vielleicht aufwendig, aber die Angehörigen können nicht nur mit sprachlichen Übersetzungen helfen. Sie kennen die Gewohnheiten, Vorlieben und Bedürfnisse ihrer Nächsten sehr gut und können die Pflegenden mit ihrer Erfahrung unterstützen.

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Contact

Mauro Bernasconi
Co-Abteilungs-leiter Pflegezentrum Erlenhof, Zürich

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